Urlaubsblog und offline-Geschichten

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Und da war ich nun. Mitten im Nirgendwo. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Anfang Juli machte ich mich auf, einen langgehegten Traum zu verwirklichen. Es gab Höhen und Tiefen und das nicht nur in der Landschaft. Ich habe Rückschläge erlebt und meine persönlichen Schutzengel kennengelernt. Ich habe einen Ort gesehen, von dem ich seit den 90er Jahren träume.

Und es hat sich gelohnt:

Dies ist meine Geschichte über den Hadrians Wall

Kindererziehung, Haushalt, selbstständige Dozentenarbeit, Kunst, Kinderbücher schreiben, Romane schreiben, etc…

Und wo belibe ich?

Ich habe in den letzten Jahren gemerkt, dass ich immer mehr in Rollen schlüpfe und mich selbst dabei vollkommen vergesse. Wer ist Anne  Fuchs?

Um das herauszufinden und nach einer gefühlten Ewigkeit mich selbst wieder besser kennenzulernen, habe ich mich in diesem Jahr aufgemacht und bin für 8 Tage nach Nordengland verschwunden.

Mein Goal:

Von Osten nach Westen am Hadrians Wall entlang wandern. Es gab Menschen, die mich für verrückt erklärt haben. Andere haben sicher gedacht: Das schafft die nie!

Ja, auch ich hatte Sorge: England ist mir jetzt nicht völlig unbekannt. Und ich kann die Sprache auch recht gut. Aber ganz alleine, ohne Familie oder Gruppe einmal quer durch ein Land, in dessen Norden die Menschensiedlungen so rar gesäht sind, dass es mehr Schafe als Zweibeiner gibt? Mit nichts anderem ausgestattet als einer Karte und Anweisungen in einer Sprache, die nicht meine Muttersprache ist.

Ich war untrainiert, hatte sowieso mein gesundheitliches Päckchen zu tragen und stieg nach einem schweren Abschied von meinen Kindern in einen Flieger nach Newcastle – ohne zu wissen, ob ich das würde durchziehen können.

Tja. Und dann kam es ganz anders:

Northumberland empfing mich mit offenen Armen und einer Gasfreundschaft, die das kalte Wetter Lügen strafte. Schon am ersten Abend trafen meine Gastgeber den Nagel auf den Kopf, als sie mich zum lokalen Restaurant (das einzige weit und breit) brachten: „The Robin Hood Inn“.

Hat man da noch Worte? Es war vollkommen egal, was ich dort essen würde. Und das perfekte Guinness zum Essen war auch nur das Tüpfelchen auf dem „i“. Aber in dem Moment,als ich diese Fassade sah, wusste ich, dass ich diesen Urlaub genießen würde.

first restaurant
Porridge

Fast jeden Morgen startete ich mit einem Frühstück, das typisch ist für diese Gegend. Ich würde Energie brauchen. Und was kam da besser, als ein Schüsselchen Porridge mit Tee? Nunja, man muss es mögen. Und ich habe zugegebenermaßen den Porridge immer mit Honig und Früchten oder Fruchtsaft genossen. Aber dennoch war es jedes Mal die richtige Entscheidung. Von meinen Hoasts bekam ich darüber hinaus immer ein Lunchpacket, das absolut keine Wünsche offen ließ. Und wie ich schnell merkte, war das auch nötig. Denn…

… wie ich sehr schnell feststellte:

Hier gibt es weit und breit… NICHTS!

Wunderschöne Landschaften, die von pittoresque über dramatisch zu ausgestorben wechseln können – ja.

Wetter, das von stundenlangem Regen innerhalb von drei Atemzügen zu strahlenstem Sonnenschein und wieder zurück springt – ja

Schafe … Schafe … und noch mehr Schafe!!!

Aber findet mal mitten in Northumberland ein Dorf mit Pub zur Mittagszeit, wenn ihr zu Fuß unterwegs seid – keine Chance!

Also war ich dankbar, wenn ich irgendwo ein trockenes Plätzchen erreicht hatte um dort die Sandwiches zu futtern, die mir mein Hoast am Morgen mitgegeben hatte.

Dabei die Landschaft zu genießen und die Stille. Wenn einem klar wird, dass man wahrscheinlich auf einigen Meilen Entfernung gerade der einzige Mensch hier ist, das ist einfach gigantisch!

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All die kleinen Besonderheiten, die man auf dem Weg sieht, wenn man zu Fuß und nicht mit dem Auto unterwegs ist, entschädigen so sehr für alle Unannehmlichkeiten, die einen erwarten können.

Da wir gerade zu Hause kein Wlan hatten und ich mich schon daran gewöhnt hatte, dass ich kaum Internet zur Verfügung haben würde, überraschte es mich um so mehr, dass ich trotz der dünnen Besiedlung nie ein Problem damit hatte, mit meinem Handy ins Internet zu gehen…

… so fand ich schließlich heraus, dass ich mich nach drei Tagen Wanderung in der Mitte des Vereinigten Königreiches befand. Nicht nur Mittig zwischen Ostküste und Westküste. Auch nach Norden und nach Süden erstreckte sich die Landmasse in gleicher Entfernung. Ein surreales Gefühl. Und doch so schön, dass ich es einfach erwähnen muss.

An dieser Stelle muss ich jetzt einmal meine Hoasts erwähnen: Ich hatte die Unterkünfte nicht selbst gebucht. Das habe ich über @hillwalktours gemacht. Eine Organisation, die einen trotz des unbeständigen Wetters in diesem Teil der Welt nicht im Regen stehen läßt. Nicht nur waren die Anweisungen sehr präziese und die historischen Beschreibungen der Orte an denen ich vorbei kam waren einfach toll. Nein, die Gastgeber in jeder einzelnen Unterkunft waren einfach toll. Ein warmes „welcome“ egal, wo ich hin kam. Es waren durchweg immer keine B&Bs, die meist von einer Familie geführt wurden. Und alles war so herrlich britisch, dass ich mich einfach nur wohl gefühlt habe. Wenn mich der Weg nicht bis vor ihre Haustür geführt hatte, kamen sie mich mit dem Auto an einem vereinbarten Treffpunkt abholen. Alle waren hilfbereit und konnten mit noch mehr geschichtlichem Wissen aufwarten. Solch gastfreundliche Leute habe ich selten getroffen.

Vielen Dank an dieser Stelle an alle Hoasts, Landlords und Landladys, die ich kennenlernen durfte.

Mitten drin
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Und dann kam der Teil meines Weges, dessenwegen ich diese Reise ursprünglich gemacht habe:

Sycamore Gap Tree

Der Baum, der sich mitten in einer Talsenke direkt am Hadrians Wall verwurzelt hatte. Ein Baum, den die Kinder der 90er Jahre aus dem Film „Robin Hood – König der Diebe“ kennen.

Ja, die Geschichte des Walls erstreckt sich über mehrere Jahrhunderte und es ist interessant zu erfahren, wie die Römer sich damals vor den „Wilden“ im Norden zu schützen versuchten. Aber dort zu stehen, wo die ikonische Szene mit Kevin Kostner und Morgan Freeman gedreht wurde, war ein langgehegter Kindheitstraum von mir. Es gab vielleicht im Laufe der Zeit bessere oder gewaltigere Verfilmungen der berühmten Heldengeschichte um den britischen Bogenschützen. Aber der Film von 1991 ist mein absoluter Favourit. Nicht zuletzt wegen des kleinen Auftritts von Sean Connery am Ende.

Ihr könnt euch also vorstellen, wie traurig ich war, als ich ein paar Wochen nach meiner Buchung im September 2023 erfuhr, dass der Baum gefällt worden war. Heute steht nur noch der Stumpf. Eine Tafel weist darauf hin, dass er noch lebt und man hofft, dass er wieder ausschlagen und neue Triebe produzieren wird. Dieser Teil meiner Wanderung war so ambivalent, dass ich erst einmal innehalten musste. Zum einen das Gefühl: Ich bin da!!! Ich habe es geschafft! Egal, was jetzt passiert, ich habe mein ursprüngliches Ziel erreicht.

Auf der anderen Seite: dieser traurige Anblick. Das Zeugnis dessen, was Missgunst, Streit und Rachegedanken bewirken können.

Es ist nicht so, dass der Baum krank war und aus Sicherheitsgründen gefällt werden musste. Nein, von den Einheimischen dieser Gegend habe ich erfahren, dass der Pächter dieses Stück Landes Ärger mit der National Trust hatte, die die Gegend um den Hadrians Wall verwaltet. Die National Trust ist dafür zuständig, dass Touristen diese Orte besuchen können und dass die Sehenswürdigkeiten erhalten bleiben. Sie verpachten die Ländereien zu guten Konditionen an Farmer. Diese sind dann im Gegenzug dafür zuständig, dass die Wege passierbar sind und Ausbesserungen gemacht werden.

Laut der Menschen vor Ort ist es so, dass der Mann, der Pächter dieses Stückchen Landes war schon länger Ärger mit der NT hatte. Sie haben ihm angedroht, ihm das Land wegzunehmen, wenn er sich nicht bald an seine vertraglich festgelegten Pflichen hält.

Nun, er hat es nicht getan. Und es kam was kommen musste. Aus Rache fällte er den Baum, der seit über 30 Jahren Menschen dort hin lockt. Es ist einfach nur traurig.

sad view
adventure

Tja, und wenn es kommt, dann kommt es knüppeldick, wie meine Mama zu sagen pflegt: Mein rechter Schuh hat sich nämlich genau diesen Teil des Weges ausgesucht, um sich von seiner Sohle zu trennen.

 

Wenn der Weg am Hadrianswall ganz im Osten und ganz im Westen durch sanfte Graslandschaften geht und nur ab und an einen Hügel erklimmt, dann war dieser Teil der denkbar schlechteste Ort für dieses Missgeschick. Wie ihr sehen könnt, habe ich versucht, mit meinen Schuhbändern das Schlimmste zu verhindern. Aber so konnte ich natürlich nicht weiterwandern. Mit Ach und Krach habe ich es bis zum Visitor-Center geschafft. Zum Glück gibt es die in regelmäßigen Abständen von ca. einem Tagesmarsch immer mal wieder am Hadrians Wall.

Und dort habe ich meine, oben schon angekündigten, Schutzengel getroffen:

George und Lois

Diesen beiden wundervollen Menschen verdanke ich es, dass dieser Tag für mich nicht nur positiv, sondern perfekt endete.

Denn was als Katastrophe begann, wurde am Ende zu einem sehr schönen, gemüdlichen Gespräch bei Tee und Scones.

Aber der Reihe nach…

Mein Schuh war also kaputt gegangen und ich schaffte es nur langsam und sehr vorsichtig die Klippen hinunter, die diese Landschaft so sehr prägen. Dort unten habe ich erst einmal etwas verloren gestanden um mir zu überlegen, wie es jetzt weitergehen sollte. Drei Tage Wanderung noch vor mir und ich musste mir neue Schuhe kaufen. Denn mit diesen konnte ich beim besten Willen nicht mehr weiterwandern.

Wie der Zufall es will, stand nicht weit von mir entfernt, eine sympatisch aussehende Frau, die auf jemanden zu warten schien. Wir kamen ins Gespräch und sie stellte sich als Lois vor. Wenig später kam auch ihr Mann George hinzu. Wir unterhielten uns ein wenig und ich bewunderte Lois Mut. Denn sie hatte vor kurzem eine Knie-OP hinter sich gebracht und wanderte schon wieder fröhlich in den Klippen herum. Ich erzählte ihnen von meinem Dilema. Sie haben nicht gezögert und mir angeboten, mich bis zu meiner Unterkunft für diesen Tag zu fahren. Ich war total überwältigt. Damit hätte ich ja nicht gerechnet.

Um dem ganzen noch die Krone aufzusetzen, hatte George doch tatsächlich die gleiche Schuhgröße, wie ich (ja, meine Füße sind für eine Frau recht groß). Und er hatte sogar ein paar alte Wanderschuhe im Auto, die er selbst nicht mehr tragen konnte, weil sie ihm auf den Fußrücken drückten.

Ich durfte sie anprobieren und siehe da: Sie passten. Wie grandios war das denn?

George versicherte mir, dass er sie sowieso nicht mehr brauchen konnte und schenkte sie mir. Es waren nicht die schönsten Schuhe auf der Welt. Aber die Sohle war robust und hatte noch genug Profil. Die Schuhe waren aus gutem Material und ich fühlte mich wohl darin. Also nahm ich sie an.

Wie kann man solch eine Großzügigkeit nur vergelten? George und Lois wollten nichts haben. Nicht für die Fahrt zu meinem nächsten B&B und auch nicht für die Schuhe. Allerdings bestand ich darauf, sie auf einen Tee einzuladen. Das war das Mindeste, was ich tun konnte.

Lieber George, liebe Lois, wenn ihr diese Zeilen lest, dann seid euch sicher, dass ich den Rest des Weges mit einem Glücksgefühl an euch beide gedacht habe. Und obwohl mich das fehlende Internet so lange davon abgehalten hat, euch zu schreiben, habe ich euch nicht vergessen. Ich fänd es fantastisch, wenn ich von euch hören würde.

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Mit neuem Schuhwerk und viel Motivation ging es nun an den letzten Teil meines Weges. Die Landschaft wurde wieder sanfter und das Wetter milder. Ja, ich näherte mich wieder einer Küste. Das konnte ich spüren. Carlisle war nicht mehr weit entfernt: Das Ziel meiner Reise. Und wehmütig stellte ich fest, dass ich das Ende fast erreicht hatte. Vor 7 Tagen hatte ich eine Reise begonnen. Nicht nur eine Reise durch das Herz Englands, sondern auch eine Reise zu mir selbst. Und was für eine Reise es gewesen war. Mit Höhen und Tiefen. Mit Frustration und Glückgefühlen. Eine Reise mit freundlichen Menschen und jede Menge Schafen (so viele Schafe hat man selten gesehen!!!). Aber auch eine Reise, die mich veränderte. Denn nun weiß ich mehr denn je: Wenn ich etwas wirklich will, dann werde ich einen Weg finden, das Ziel zu erreichen. Weder Umwege noch Steine im Weg können mich abhalten. Ich darf auch mal langsamer werden. Ich darf auch mal pausieren oder eine Abkürzung nehmen. Aber mein Ziel kann ich erreichen, solange ich meinem Herzen folge.

Thank you, Northumbria an Cumbria, for having me this year. It was the highlight of my summer and you can be sure, that I will come back one day. There is nothing that keeps me away for to long from the land, I really love: The land of backpipes and pixies. The land of scones an afternoon tea. I love your legends and your stories. And I will come to listen to more of what you have to tell me.

Cheers

Anne

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